Konsumkennzahlen für Deutschlands Innenstädte – Entscheidungsgrundlage zur Standortbewertung von 1A-Citylagen?

Der Kampf um die besten Einzelhandelsstandorte in Deutschlands Fußgängerzonen gestaltet sich immer unübersichtlicher.

Aufgrund von Center-Eröffnungen oder Kaufhausschließungen mit unklarer Folgenutzung kann sich eine ehemals innerstädtische Top-Lage innerhalb weniger Monate zu einer Problemzone entwickeln, in der sich nur noch ein Bruchteil der früheren Renditen erwirtschaften lässt.

Gerne greift man da nach jeder verfügbaren Entscheidungsgrundlage, die sich zur Standortbewertung oder Mietpreiseinschätzung eignen könnte.

Der Boom des Onlinehandels führt bereits zu düsteren Prognosen für die Innenstädte, weil die Shopping-Tour der Zukunft viel besser vom heimischen Sofa aus organisiert werden kann.

Handelsexperten prognostizieren vor allem den Klein-und Mittelstädten mit 30 – 60.000 Einwohnern einen Rückgang im stationären Einzelhandel von 30%. Bei einer Neuvermietung von Ladenlokalen orientiert man sich da gerne an den wenigen verfügbaren Kennzahlen bzgl. Kaufkraft, Passanten-Frequenz oder Mietpreisniveau.


Perspektivenverlagerung

Über die Aussagekraft einer solchen Datenbasis mehren sich in letzter Zeit allerdings verstärkte Zweifel.

Als kürzlich das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln die bislang ausschließlich auf das Einkommen bezogene Definition der Armutsverteilung um den Aspekt der regionalen Preisunterschiede erweiterte, war von dem traditionellen Ost-West-Unterschied fast nichts mehr übrig.

Die Verlagerung der Perspektive hin auf die so erstmals definierte „Kaufkraftarmut“ brachte völlig neue Ergebnisse beim Städte- bzw. Regionen-Ranking. Weil in Großstädten die Preise um 6% höher als im ländlichen Bereich und in Ostdeutschland 7% niedriger als im Westen sind, finden sich kaufkraftbereinigt die neuen „Armutshochburgen“ überwiegend in westdeutschen Großstädten.

Dabei liegt Köln mit einer Quote von 26,4% an der Spitze, dicht gefolgt von Dortmund (25,5%) sowie Bremerhaven und Leipzig mit jeweils 24,3% anteiliger Kaufkraftarmut. Aber auch die Bankenstadt Frankfurt und die Modehochburg Düsseldorf befinden sich mit 23,5% bzw. 22,7% unter den zehn Städten mit der kaufkraftärmsten Bevölkerung.

Dagegen haben am anderen Tabellenende größere süddeutsche Städte wie Augsburg, Ulm oder Ingolstadt mit nur 8,3% bis 9,5% ähnlich niedrige Quoten an kaufkraftarmer Bevölkerung wie Teile der angeblich strukturschwachen Oberpfalz.

Die Folgen für Expansionsstrategien

Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für die Expansionsstrategie von Filialbetrieben ziehen? Sollte man z. B. verstärkt nach Thüringen expandieren, weil dieses Bundesland in Bezug auf Kaufkraftarmut von den 16 Bundesländern unerwartet auf dem drittbesten Rang liegt?

Eine weitere beliebte Statistik bei der Standortbewertung von Ladenlokalen in Fußgängerzonen ist die dort gemessene Passanten-Frequenz. Dabei gibt es in deutschen Einkaufsmeilen zum Teil erhebliche Unterschiede.

Während in der „kaufkraftärmsten Stadt Deutschlands“ Köln auf der Hohen Straße und auf der Schildergasse von JonesLangLasalle (JLL) traditionell die deutschen Spitzenwerte von über 12.000 bis fast 15.000 Passanten pro Stunde gezählt werden, liegt dagegen die Bestmarke beim Wettbewerber Engels & Völkers (E&V) in München auf der Kaufinger Straße bei über 16.600 Passanten pro Stunde. JLL zählt in Köln lediglich rund 11.000 Passanten, was nur für Platz 7 im Städte-Ranking reicht.

Ähnlich kuriose Differenzen bei den Frequenzmessungen (beide samstags, am 29.3. bzw. 10.5.2014 von 12.00-13.00 Uhr durchgeführt) fallen auch bei anderen Top-Platzierungen auf, wie nebenstehende Tabelle verdeutlicht.

Mittlerweile hat sich hierzu Widerstand bei der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland e.V. (bcsd) gebildet, die nüchtern feststellt:

Es ist ein Unding, dass die öffentliche Wahrnehmung von Geschäftsstraßen in deutschen Innenstädten und auch weitreichende Geschäftsentscheidungen von sporadisch erhobenen, völlig unzuverlässigen Zahlenwerken abhängig gemacht werden… Die bcsd fordert JLL und E&V auf, das Forschungsdesign ihrer Erhebung zu überprüfen und auf die Erstellung von Rankings zu verzichten“.

Warum aber werden solche offenkundig in die Irre leitenden Messungen von den Verantwortlichen mit viel Aufwand durchgeführt und publiziert?

Weil diese Zahlen bei den Lokalredakteuren ohne Blick über den Tellerrand dankbar aufgenommen werden und somit im redaktionellen Teil der Zeitungen kostenlose Werbung für die Datenlieferanten liefern?

Weil Hauseigentümern damit eine intime Marktkenntnis der lokalen Einzelhandelssituation suggeriert werden soll, die real gar nicht existiert?

Was spiegeln Mietpreisspiegel wirklich wieder?

Ein ähnlich fragwürdiges Instrument als „Kompetenznachweis“ ist die regelmäßige Veröffentlichung von Mietpreisspiegeln für Einzelhandelsimmobilien, die angeblich auf aktuell erhobenen Zahlen basieren. In derartigen Tabellen werden für unterschiedliche Ladengrößen bis auf 5 EUR/ m2 Ladenfläche exakte Preisspannen ausgewiesen.

Bei einer seriösen Studie sollte man für jede einzelne Kategorie mind. drei aktuelle Verhandlungsergebnisse kennen. Bei einem Mietpreisspiegel für 200 ausgewählte Innenstädte wären das mindestens 600(!) Ladenvermittlungen pro Jahr. Und weil in den publizierten Tabellen meist zwei oder drei unterschiedliche Ladengrößen als Referenz benannt sind, sollte das Know-how folgerichtig aus mindestens 1.200 oder 1.800 jährlichen Objektvermittlungen resultieren.

Die Wahrheit sieht jedoch ganz anders aus: Kein einziges in Deutschland aktives Maklerunternehmen schafft diese jährliche Anzahl an Vermietungen für den Handel in 1A-Lage. Und eine Plattform zur Veröffentlichung von tatsächlich erzielten Mietpreisen, auf die man ergänzend zugreifen könnte, existiert nicht.

Im Gegenteil: Die Verhandlungsergebnisse zwischen Vermieter und dem anmietenden Filialbetrieb werden meist vertraulich behandelt. Ein Prinzip, das zumindest von Domino so eingehalten wird.

Außerdem spiegelt der Mietpreis nur einen Teil des materiellen Verhandlungsergebnisses wieder: Hat der neue Einzelhändler noch aufwändige Baumaßnahmen auf eigene Kosten durchzuführen, wird ein niedrigeres Mietpreisniveau erzielt, als wenn der Vermieter notwendige Umbauten selber vornimmt oder sogar noch einen Baukostenzuschuss (BKZ) zahlt.

Letztere Variante wird bevorzugt von Projektentwicklern favorisiert, die mit der Zahlung eines BKZ und entsprechend höheren Mieterträgen den späteren Verkaufswert der Immobilie steigern wollen.

Es ist auch kein Geheimnis, dass die unterschiedlichen Branchen im stationären Einzelhandel ebenso unterschiedliche Anteile Ihres Ladenumsatzes als Mietzins vertragen, unabhängig davon, was ein gerade veröffentlichter Mietspiegel suggeriert.

Schließlich gilt für die erzielbare Miete immer das, was der Markt zum Zeitpunkt der anstehenden Neuvermietung hergibt. Ist das Angebot an verfügbaren Ladenlokalen gering, so ist die Mietzahlungsbereitschaft bei einer Neuanmietung wesentlich höher als wenn es z. B. aufgrund einer Center-Eröffnung ein lokales Überangebot an Ladenflächen gibt.

Nach der letzten Fusionswelle in der Telekommunikationsbranche gab es beispielsweise als Folge in vielen Städten ein Überangebot an Läden in gleicher Größenordnung. In den meisten Fällen konnten die ehemals hohen Mieten nicht wieder erzielt werden.

Die Zahlen in den Mietpreisspiegeln dienen daher eher einer ersten Orientierung und weichen in der Realität sowohl nach oben als auch nach unten häufig ab.

Denn nach wie vor wird die Miete einer Immobilie aufgrund der baulichen Besonderheiten im Kontext mit der aktuellen Nachfragesituation individuell bestimmt.

Fazit

Der Vermietungsmarkt in 1A-Citylagen war schon immer ein besonderes Marktsegment und wird es angesichts der zukünftig zu erwartenden strukturellen Veränderungen im Einzelhandel auch bleiben.

Dazu veröffentlichte Studien zur Passanten-Frequenz oder Tabellen zum Mietpreisniveau für Ladenlokale sind mehr ein Marketinginstrument der Herausgeber, als dass sie die tatsächlichen Marktgegebenheiten widerspiegeln.

Würden alle diese Kennzahlen tatsächlich Gültigkeit haben, wäre ein Großteil der Vermittlung von Ladenlokalen bereits heute über entsprechende Logarithmen ins Internet verlagert.

Nicht ohne Grund findet man die wirklich interessanten Objekte in 1A-Citylage aber weder bei ImmoScout.de noch bei vergleichbaren Online-Anbietern. Im Falle einer Neuvermietung ist daher immer eine persönliche Beratung mit einer maßgeschneiderten Lösung zu empfehlen.

Nach wie vor gilt für Immobilien in den 1A-Lagen: Verknappung erzeugt Wertschätzung – auch bei der Vermarktung.


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