LONGEVITY: Wie ein neuer Trend unsere Innenstädte verändern kann (Juni 2025)

Domino Konkret Newsletter vom Juni 2025

Wer im Februar 2025 im Stadtstaat Bremen den Wahlzettel zur Hand nahm, dürfte sich verwundert die Augen gerieben haben: Dort konnte man der Partei für Verjüngungsforschung erstmals zur Bundestagswahl seine Zweitstimme geben. Damit wurde endgültig deutlich, was sich seit längerem in der Gesellschaft abzeichnet: Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Langlebigkeit - neudeutsch zu „LONGEVITY“ zusammengefasst - sind nicht mehr nur individuelle Ziele, sondern zunehmend gesamtgesellschaftliche Phänomene mit unmittelbarer Auswirkung auf Konsumverhalten, Standortentscheidungen und somit auch auf die Zukunft des Einzelhandels.

Das ursprünglich von Tech-Pionieren wie Bryan Johnson in den USA geprägte LONGEVITY-Ideal hat sich in rasantem Tempo in den Mainstream übertragen. Ähnlich wie einst der Airbag vom Luxus- zum Serienbauteil wurde, ist auch das Streben nach einem langen und gesunden Leben längst nicht mehr nur ein Thema für Privatpatienten, sondern für breite Bevölkerungsschichten relevant geworden - allen voran die Babyboomer, die mit großer Kaufkraft auf der Schwelle zum Ruhestand stehen.
 

Ein Megatrend wird marktfähig

Die Auswirkungen auf den Einzelhandel sind deutlich spürbar. Immer mehr Sortimente, Konzepte und Standorte richten sich heute gezielt an eine gesundheits- und zukunftsbewusste Klientel. Sporthändler wie Intersport oder Decathlon verstärken ihre Expansion in die Innenstädte und setzen dabei auf Themen wie Prävention, Fitness und Alltagsmobilität. Der Markt für sportlich inspirierte Bekleidung und Schuhe wächst ebenso wie das Segment smarter Gesundheits-Accessoires wie z.B. die Apple-Watch mit Apps für die Messung von Herzfrequenz, Blutsauerstoffgehalt oder Schlaferfassung. Sneaker zum Anzug sind nicht länger modischer Tabubruch, sondern Ausdruck eines neuen Selbstverständnisses: Man will fit und attraktiv bleiben - und das auch modisch zeigen.

Im Lebensmittelbereich expandieren Anbieter in den Innenstädten, die gesunde Ernährung entweder neu interpretiert haben - ob mit Bowls und Smart-Food wie z.B. die Fast-Food-Ketten Dean&DavidMA'LOA oder Haferkater - oder die, die ihre Sortimente dem Trend entsprechend umgestellt haben. Dazu gehört z.B. die in 2001 als reine SB-Kette gestartete Bäckerei BackWerk, die sich mittlerweile vom Discount-Image verabschiedet hat und nun den Fokus auf "Frische, lokale" sowie pflanzliche Alternativprodukte setzt. Die in 2009 gestartete Bio-Bäckerei Zeit für Brot überzeugt mittlerweile mit ihren Bioland-Zutaten, "langer Teigführung und von Menschen in echter Handarbeit" hergestellten Produkten bundesweit bereits an demnächst 17 Innenstadtstandorten ein zunehmend breiteres Publikum.

Drogeriemärkte, Reformhäuser, Apotheken und Lebensmittelhändler profitieren von der wachsenden Nachfrage nach hochwertigen Grundnahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. Bei letzteren gab es im benachbarten Österreich beispielsweise eine Steigerung um 60% in den letzten 10 Jahren.

Selbst in Schönheits- und Wellnessfragen geht es nicht mehr nur um Eitelkeit, sondern neuerdings um ganzheitliches Wohlbefinden. Medizinische Versorgungszentren (MVZ), Fitnessketten, Anbieter wie M1 Med BeautyEuroEyes oder Aesthetify suchen sich ihre Standorte zunehmend in bester Innenstadtlage. 

Neue Anforderungen an Flächen - und passende Nachbarschaften

Der Hype um dauerhaftes Wohlbefinden führt zu neuen Anforderungen an die Handelsimmobilien in Citylagen. Wo früher homogene Branchenmuster dominierten, entstehen heute in unmittelbarer Nachbarschaft hybride Nutzungskonzepte. Die Fläche des ehemaligen C&A in Gronau teilen sich mittlerweile Jeans Fritz mit dem Fitnessstudio Basic-Fit. Der Outdooranbieter Globetrotter bietet an einigen Standorten ergänzend zum Sortiment in sogenannten Reisepraxen Informationen und Impftermine für geplante Reisen an. In München wird sich das Label & Other Stories (als Tochter von H&M) neuerdings Tür an Tür mit Aesthetify, die darauf spezialisiert sind, “bestimmte Gesichtspartien zu betonen, zu formen oder zu glätten”, wiederfinden.

Diese Entwicklung stellt oftmals neue Herausforderungen an die Flächenstruktur und das Nutzungsprofil klassischer Verkaufsimmobilien in direkter Nachbarschaft zueinander. Kunden kommen nicht mehr nur zum Einkaufen, sondern zum Vernetzen, Informieren und Erleben.

Dort, wo solche neuen LONGEVITY-Cluster (MVZ, Gym, Food, Beauty, Sportmode etc.) bereits erkennbar werden, verändert sich auch das Stadtbild. Die City als Ort des sozialen und gesundheitsorientierten Austauschs gewinnt neue Impulse. Der Trend zur körperlichen Selbstoptimierung im besten Sinne könnte so - bei aller berechtigten Kritik an Übertreibungen - ein Baustein sein für die dringend notwendige Belebung unserer Innenstädte.


Sneaker bleiben gefragt - trotz Konsumzurückhaltung

Während der deutsche Schuhmarkt insgesamt mit rückläufigen Umsätzen zu kämpfen hat, setzen Sneaker ihren Höhenflug fort, wie Fashion United oder auch das Handelsblatt berichteten. Laut IFH Köln gaben Kundinnen und Kunden 2024 rund 2,7 Milliarden Euro für Sneaker aus - ein Drittel mehr als noch 2018. Damit sei der Sneaker der klare Gewinner unter den Warengruppen.

Marktexperte Hansjürgen Heinick nennt mehrere Gründe: Sneaker seien bequem, gesellschaftlich längst akzeptiert und häufig günstiger als klassische Lederschuhe. Der Marktanteil liegt aktuell bei über 28 Prozent und soll 2025 auf 29,5 Prozent steigen. 

Trotz dieses Erfolgs bleibt die Gesamtlage des Schuhhandels angespannt: Die Branche leidet weiter unter Kaufzurückhaltung, gestiegenen Betriebskosten und einer zunehmenden Onlineverlagerung. 2024 wurden bereits 37 Prozent der Schuhumsätze online erzielt. Der stationäre Handel also steht weiter unter Druck.

 

Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf - DIW erwartet Wachstumsschub

Nach Jahren der Stagnation blickt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vorsichtig optimistisch nach vorn: Für 2026 prognostiziert das Institut ein preisbereinigtes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 1,7 Prozent. Grund sei vor allem das geplante Investitionspaket der Bundesregierung, das ab dem Jahreswechsel spürbare Impulse für Infrastruktur, Militär und Konsum setzen soll.

Bereits für 2025 wurden die Erwartungen deutlich nach oben korrigiert - ebenso wie bei anderen führenden Wirtschaftsinstituten. Begünstigt wird der Aufschwung durch starke Exporte und wieder anziehende Verbraucherausgaben. Gleichzeitig warnt das DIW vor strukturellen Schwächen und geopolitischen Risiken, etwa durch die US-Handelspolitik. Entscheidend werde nun die schnelle Umsetzung der angekündigten Maßnahmen - inklusive tragfähiger Haushaltspläne.

 

Innenstadtansicht

 

München im Mai 2025 © Archiv DOMINO

 

 
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