Zeitenwende auch in den Fußgängerzonen – Perspektiven für die Zukunft

Eigentlich war alles bestens vorbereitet: Nach den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 mit den verheerenden Umsatzeinbußen beim innerstädtischen Einzelhandel wurde vielerorts in diesem Jahr die Wiedergesundung der Fußgängerzonen erwartet.

In der Hoffnung, dass die teilweise über mehrere Wochen andauernden Geschäftsschließungen und die neue Einsamkeit im Homeoffice so etwas wie einen „Konsumstau“ erzeugt haben könnten, sollten die Verlockungen der 1A-Lagen den unumstrittenen Stellenwert der urbanen City als überragenden Wohlfühlstandort zurückerobern. Doch es kam alles ganz anders.


Nachdem sich im Sommer des Vorjahres bei vermeintlich abklingender Corona-Pandemie zunächst erste Erholungstendenzen im stationären Einzelhandel und damit auch bei der Nachfrage nach Verkaufsflächen abzeichneten, ließ das Konsumbarometer als Monitoring der allgemeinen Kauflaune zum Jahreswechsel hin wieder deutlich nach, um nach Beginn der Ukraine-Krise Ende Februar bis aktuell in den September 22 hinein ein bisheriges Allzeittief zu erreichen. Der Krieg im Osten Europas und die infolgedessen fast schon „explodierenden“ Energiepreise haben jegliche Stimmung der Verbraucher gegen Null getrübt.

Hinzu kommt inzwischen ein politischer Vertrauensverlust, weil wichtige Funktionäre der Regierungsparteien wiederholt mit ihren Einschätzungen offensichtlich danebenliegen, wenn sie etwa behaupten, es gäbe lediglich „ein Gasproblem und kein Stromproblem“ oder den simplen Ratschlag erteilen, „Blumenläden, Bioläden und Bäckereien“ einfach nur zu schließen, um einer drohenden Insolvenz zuvorzukommen.

Und als wenn alle diese Randbedingungen nicht schon konsumverhindernd genug wären, so haben zusätzlich noch wochenlange Wetterextreme mit Hitzerekorden um die 40°C vom coolen Shoppingerlebnis abgehalten und großflächiger Personalmangel zu Einschränkungen der Öffnungszeiten geführt. Manche Produkte waren wegen Lieferkettenproblemen erst gar nicht im Laden verfügbar.

Die offenbar immer noch nicht beendete Corona-Pandemie mit daraus resultierenden, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Einschränkungen und Verboten über den kommenden Jahreswechsel 2022 – 23 hinaus, sind da nur noch ein weiterer Tropfen auf das bereits schon übergelaufene Fass der Frustration im Einzelhandel. Die Sorgen über die Zukunft dominieren die gegenwärtige gesellschaftliche Stimmung. Wer kann, der spart – und konsumiert wird nur noch, wenn es unbedingt notwendig ist.

Auf breiter Front setzt sich mittlerweile die Erkenntnis durch, dass es in allen Bereichen, so wie es einmal war, nie wieder werden wird.

Bei so wenig Grund zu Optimismus ist allerdings Untätigkeit, Abwarten oder einfach nur Hoffen nicht die allerbeste Strategie.

Aber welche „klugen Ratschläge“ kann es für die Zukunft von gut funktionierenden Fußgängerzonen überhaupt noch geben?

Vor allem in größeren Städten stehen institutionelle Anleger gegenwärtig vor der Entscheidung, ob bei drohendem Nichterreichen der zur langfristigen Refinanzierung eigentlich notwendigen Mietrenditen vorübergehende Kompromissbereitschaft akzeptabel ist, um Leerstände zu vermeiden.

Tatsächlich haben sich die Planungshorizonte im stationären Einzelhandel deutlich verkürzt. Indiz dafür ist die inzwischen gängige Laufzeit der Mietverträge: Waren in der letzten Dekade über 10 Jahre laufende Kontrakte üblich, so ist die Dauer der früher gängigen drei- bis fünfjährigen Zusatzoptionen heutzutage die Basislaufzeit der neu verhandelten Mietverträge, manchmal sogar noch flankiert von vorzeitigen Ausstiegsklauseln im Fall besonderer Umstände, die sich sehr weitreichend definieren lassen.

Bei der in Klein- und Mittelstädten eher überwiegend privat dominierten Vermieterstruktur ist daher die Verunsicherung groß. Tatsächlich hat bei Manchem bereits der notwendige Umdenkprozess stattgefunden. Auch in den 1A-Lagen sind akzeptierte Mieteinbußen von 30 % je nach Standort bei Neuabschlüssen inzwischen an der Tagesordnung. Will man überhaupt auch nur annähernd an das Mietniveau der vergangenen Jahre anknüpfen, so sind häufig noch mietfreie Zeiten während des Ladenausbaus, Beteiligungen an Baumaßnahmen oder Nutzungsänderungen von Eigentümerseite notwendig.

Angebotene Objekte in den Top-Lagen wird es auf längere Zeit hinweg künftig zur Genüge geben und daher wird bei den in immer kürzeren Abständen zu beobachtenden Trendverschiebungen die flexible Nutzbarkeit einer Handelsimmobilie immer wichtiger. Vom Schuhgeschäft zum Optiker oder vom Textilanbieter zum angesagten Food-Konzept – für derartige Nutzungsänderungen, auch wenn sie mit Investitionen verbunden sind, sollten Vermieter prinzipiell offen sein, damit ihre Immobilie nicht trotz eigentlich bester Lage zum Dauer-Leerstand mutiert.

Problematisch wird es immer dann, wenn nach einer Einigung von Mieter und Vermieter über anstehende Baumaßnahmen und deren Kostenzuordnung die Genehmigungsbehörden auf die Bremse treten, selbst wenn die Maßnahme verwaltungsseitig grundsätzlich begrüßt wird.

Über den mehr als schleppenden Verlauf bei Anträgen zu Nutzungsänderungen, zur Einhaltung von Denkmalschutzauflagen oder anderen Genehmigungsprozessen könnte der Verfasser zahlreiche Beispiele nennen bis hin zu den „Top 10“ der besonders kuriosen und lang andauernden Genehmigungsverfahren. Entsprechende Leserbriefe in der Lokalzeitung oder das direkte Gespräch mit den Fraktionssprechern aller im Stadtrat vertretenen Parteien kann da ggf. beschleunigend wirken.

Wie machen es die anderen?

Zu den Möglichkeiten einer Attraktivitätssteigerung des innerstädtischen Einzelhandels hilft auch ein Blick auf die „Besten“ ihrer jeweiligen Branche. Die Gewinner des Wettbewerbs „Stores of the year“, der jährlich vom Handelsverband Deutschland (HDE) ausgelobt wird, gehen auch im laufenden Jahr 2022 mit vielen kreativen Ideen voran.

Wenn man sich die Preisträger in den sechs Kategorien „Concept-Store“, „Fashion“, „Food“, „Living“, „Out of Line“ und „Sonderpreis“ näher anschaut und auf etwaige Gemeinsamkeiten hin überprüft, dann lassen sich vier Top-Kriterien herausfiltern, die zukünftig produktübergreifend offenbar besonders relevant zu sein scheinen.

Stark vereinfacht zusammengefasst sind das:

  • Regionalität & Nachbarschaft

  • Individualität & spezielle Zielgruppenansprache

  • Tradition & Handwerk

  • Qualität & Genießen“. 

Die Verkaufsflächen von fünf der sechs ausgezeichneten Preisträger wurden in den Landeshauptstädten Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Wiesbaden eröffnet und zeigen bei jeweils mindestens zwei dieser Kriterien eine überdurchschnittliche Performance.

Niedrige Preise als dominierende Motivation für einen City-Besuch sind demnach in Zeiten des Online-Handels kaum noch ausschlaggebend.

Als einziger der sechs Preisträger präsentiert sich das in der Kategorie „Living“ prämierte Einrichtungshaus in einer nur 4.000 Einwohner zählenden Kleinstadt im südlichen Schwarzwald. Es gewann die Auszeichnung wegen seiner im Apartment-Stil gestalteten Ausstellung und Aufteilung nach Kundengruppen in vier Lifestyle-Welten und steht täglich vor der Herausforderung, die vor Ort nicht vorhandene Kaufkraft kompensieren zu müssen.

Wie aber lassen sich Kunden aus der zwölfmal größeren Kreisstadt oder gar aus Freiburg zu einer Anreise motivieren?

Dieses Prinzip nach Hinterfragung der Motivation potenzieller Zielgruppen gilt für jeden City-Manager und für jeden Einzelhändler gleichermaßen, erst recht, wenn aufgrund der eingangs aufgezählten Ursachen eine allgemeine Kaufzurückhaltung herrscht.

Wie bewege ich Konsumenten, in die eigene und nicht in die benachbarte Stadt zu fahren oder im eigenen und nicht im Geschäft des Wettbewerbers zu kaufen? Kampf um Kaufkraft also. In Zeiten wie diesen sind auch Vermieter von Handelsimmobilien nicht frei von Verantwortung.

Sie können z.B. durch die Auswahl ihrer Mieter und durch ihre Bereitschaft zur Fassadenauffrischung oder mit anderen notwendigen Sanierungsmaßnahmen an einem positiven Stadtbild mitwirken.

Und sie können sich gegenüber ihren Bestandsmietern bei außerplanmäßigem Abstimmungsbedarf als fairer Gesprächspartner erweisen. Ab wann und wie weit diese Fairness gegenüber dem Mieter dann gelten sollte, ist dabei nicht immer leicht einzuschätzen.

Vielen Vermietern fehlt es hier an Erfahrung und nicht selten wird bei diesen Gesprächen in die eine oder andere Richtung „überzogen“, da man fachlichen Rat oft erst einholt, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“.

Gut, wenn es Experten gibt, die sich überregional über mehr als drei Jahrzehnte hinweg ein entsprechendes Fachwissen angeeignet haben und die dann bei Bedarf die passenden Partner mit ihrer jeweils individuellen Erwartungshaltung  zusammenbringen können. 


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